Panorama an der Schwarzwaldhochstraße - vom Sturm Lothar geschaffen
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Gipsy


Wenn auch Gipsys Geschichte aus einer Aneinanderreihung von Krankheiten besteht, gab es immer größere Zeitab- schnitte, in denen wir mit Gipsy in acht Jahren ein wunderschönes Leben führen durften.

Leben mit einem chronisch kranken Hund heißt aber auch, viele Höhen und Tiefen zu erleben und zu durch- leben. Der Sinn des Lebens bekommt eine neue Bedeutung,  denn wir leben nicht in den Tag hinein, sondern sind glücklich über jeden schönen Tag.

Gipsys und unser Glück war „unsere“ Tierklinik, die immer für uns da war und der wir alles zu verdanken haben. Insbesondere „unsere“ Tierärztin, die Gipsy in- und auswendig kannte, können wir nie genug danken. Als der Krebs kam, konnten wir uns auf das Tierspital Zürich verlassen und haben auch dort „unsere“ Tierärztin gefunden.
Erwähnenswert, weil in der Humanmedizin selten anzutreffen, war die perfekte Zusammenarbeit zwischen Reutlingen und Zürich.




 





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Ein spanischer Straßenhund wird mein Traumhund... 

An einem Sonntag, wenige Tage nach Crockys Tod, hat mich die Nothilfe für Polarhunde gefragt, ob ich einen spanischen Straßenhund in Pflege nehmen könnte. Die Hündin sollte eigentlich ein Husky sein und nur aufgrund dieser Verwechselung kam sie über die Nothilfe nach Deutschland.

Die erste Untersuchung in der Tierklinik war eine niederschmetternde Diagnose: Gipsy ist todkrank. Sie war hoffnungslos unterernährt und hatte einige Liter Wasser im Bauch. Zudem gab es unter ihrem Halsband unzählige Zeckennester. So musste ich schon wieder von einem Hund Abschied nehmen und sie in der Tierklinik zurück lassen...

Nach fast zwei Wochen Pflege in der Tierklinik traute ich kaum meinen Augen, als ich Gipsy wieder sah und mit nach Hause nehmen durfte. Da war ein lebenshungriger Hund neu geboren, in eine neue Welt. Aus dem Pflegehund wurde sehr bald unser zweiter Hund.

Gipsy war so anders als Crocky – obwohl ein Teil bei Gipsy ein weißer Schäferhund sein musste, war sie überhaupt kein Wach- oder Schutzhund, eher vorsichtig und zurückhaltend, auch hat sie kaum Laute von sich gegeben und ihre Begrüßung und Freude war liebevoll, aber ruhig und wenig euphorisch. Sie war auch gegenüber allen Hunden gut verträglich und eher zurückhaltend. So haben wir einen Hund lieben gelernt, der anfänglich nur unser Mitleid hatte und später tief in unser Herz eindrang. Gipsys Name war bereits nach wenigen Wochen gänzlich falsch, denn ohne jede Erziehung folgte sie uns auf Schritt und Tritt und hatte ihr Zuhause gefunden.

Wir mussten auch einsehen, dass ein kranker Hund nicht über Nacht kerngesund wurde und so gehörten Tierarztbesuche zu unserem Alltag – vorwiegend wegen Magen-/Darmproblemen, aber auch wegen schlechter Blutwerte, einer Schilddrüsenstörung oder chronisch entzündeten Mandeln. Vor der Kastration wurde noch ein Geschwulst am Darm entdeckt und mit der Kastration entfernt.

Nach vielen Untersuchungen und Futterumstellungen wurde der Grund für die chronischen Dickdarmentzündungen festgestellt: Gipsy hatte eine Rindereiweißallergie und durfte ab sofort keine Leckerlis mehr bekommen, dafür aber gekochtes Hühnchen oder Pute mit Reis und spezielles Hundefutter. Auch ihre Vorliebe für Obst wie Äpfel, Erdbeeren, etc. mussten wir stark einschränken. Die Dickdarmentzündungen gehörten der Vergangenheit an, auch die Magenprobleme wurden weniger, blieben uns aber immer erhalten. So musste Gipsy manchmal (auch nachts) raus zum Gras fressen, bis sich ihr Magen wieder beruhigt hatte.

Wer den besseren Blutwerten nicht glaubte, musste unsere Gipsy nur ansehen, denn sie wurde ein bildhübscher Hund, weißer als jeder weiße Schäferhund und mit ihrer zierlichen Statur blieb sie auch immer ein „junger“ Hund. Ihr Fell war so weich wie von einem Hundebaby und so wurden wir häufig von wildfremden Menschen angesprochen.

Nicht nur deshalb wurde und ist noch immer Gipsy mein Traumhund - diese Dankbarkeit und Liebe, die ein Straßenhund der ganzen Familie jeden Tag aufs Neue gibt, ist nicht in Worte zu fassen.

Mein Lebensmotto hat sich mit Gipsy grundlegend geändert. Es wurde nichts mehr aufgeschoben und wenn es Gipsy gut ging, haben wir mit ihr das Leben genossen und sind bereits im Sommer 1999 in den ersten (von sechs) Urlaub mit ihr gefahren.
Schon damals zeigte sie ihre Leidenschaft fürs bewegte Wasser. Nicht schwimmen war ihr Hobby, sondern das Jagen von Wellen. Mit dieser Freude hat sie viele Leute zum Lachen gebracht, egal, ob an einem See oder an einem Bach. Bei unseren vielen Wanderungen (bis zu 35 km) war sie stets vorneweg und nicht der kranke Hund, für den sie so oft gehalten wurde.

Und deshalb soll die Geschichte von Gipsy auch nicht nur von Ängsten, Sorgen, Krankheiten und schon gar nicht von Mitleid erzählen, sondern von purer Lebensfreude, von einem treuen Freund und von Wunder, die wir erleben durften.

Gipsy hat in Deutschland ein neues Leben begonnen, sie musste sich nicht mehr ihr Fressen in Mülleimern suchen oder um Essensreste mit Artgenossen streiten. Aber sie war geprägt von ihren ersten Jahren und hat deshalb einzig den Menschen als Wohltäter gesehen. Zu ihren Artgenossen konnte sie sich nur bei wenigen Hunden richtig öffnen, denn gewissermaßen blieben es immer Konkurrenten und waren selten echte Spielkameraden. Zum Collie meiner Schwester hatte sie ein problemloses Verhältnis, aber das ständige Werben von Sando hat sie nie erwidert.

Ja, viele haben gesagt, ich würde nicht um meine Crocky trauern, da Gipsy schon wenige Tage nach Crockys Tod in mein Leben trat, aber tatsächlich konnte ich erst nach vielen Monaten Gipsy tief in mein Herz eindringen lassen.

Und immer, als wir dachten, dass es unserer Gipsy ganz gut gehen würde, kam ein neuer Tiefschlag. An einem Freitag, als ich bereits meine Koffer gepackt hatte, hat Gipsy von einer Sekunde zur anderen ständig erbrochen und auch heftigen Durchfall. Was anfänglich wie eine Magen-/Darmerkrankung aussah, wurde als Nierenentzündung von der Tierklinik erkannt und stationär behandelt. Gipsy hat aber auch diese Tage und Wochen gemeistert, jedoch war die Niere dauerhaft geschädigt.

Der Versuch, wieder einen heimischen Tierarzt zu finden, war spätestens mit der Nierenerkrankung gescheitert und wir hatten in der Tierklinik in Reutlingen mehrere Tierärzte unseres Vertrauens gefunden, die für unseren Hund rund um die Uhr da waren. Wenig später wurden die Mandeln wegen chronischer Entzündung entfernt.

Gipsy blieb aber auch so ein Unglücksrabe, denn auch „Kleinigkeiten“, wie ein Hundebiss einer anderen Hündin oder ein Splitter im Vorderlauf bedeuteten über Wochen einen humpelnden Hund. Aber unser Hund ließ sich seine Lebensfreude, insbesondere beim Spielen, nicht nehmen. Sie hatte Spielsachen in allen Ausführungen und hat sie – bis auf ein Kuscheltier namens Wuschel – so sanft behandelt, dass wir sie heute noch haben. Jedes Teil hatte einen Namen und sie brachte auch auf Zuruf (meistens) das richtige Spielzeug. Ich sehe noch ihre leuchtenden Augen (wie bei einem Kind), wenn sie ein neues Spielzeug bekam. Sie war ihr ganzes Leben ein Spielhundi.

Regel- und unregelmäßige Tierklinikbesuche blieben unser Alltag und beeindruckend war, wie Gipsy doch gerne zu ihren Tierärzten ging und problemlos jede Arznei nahm.

Und so war an einem Sommertag, am 05.08.2002, nichts Ungewöhnliches, dass wir in die Tierklinik nach Reutlingen fuhren – vermutet wurde mal wieder Magen-/Darmbeschwerden. Eine unserer Tierärztinnen hatte dann ziemlich schnell einen anderen Verdacht und Gipsy wurde wenige Stunden später die Milz entfernt. Nach einer Untersuchung des Gewebes war der Befund: Nicht bösartig, was aber die operierende Tierärztin anzweifelte – so schrecklich muss die Milz ausgesehen haben. Wir waren jedenfalls so froh, dass unsere Tierärztin den Milztumor so frühzeitig erkannt hat, um Schlimmeres zu verhindern.

So hatten wir 2003 längstens die Milzerkrankung vergessen (und es fehlte uns auch das Hintergrundwissen über lymphatisches Gewebe wie Milz und Lymphknoten) und waren das erste Mal mit Gipsy und Sando in Dänemark im Urlaub (ein Traumland für einen Hund), als Gipsy sich gegen Ende des Jahres merklich veränderte. Plötzlich kam sie nicht mehr mit allen Hunden klar, zuerst nur mit kleinen und später gar mit einem Teil ihrer Freunde. Im Februar 2004 merkte ich auch, dass sie oft hechelte und am Berg sehr angestrengt wirkte. Waren die ersten Proben der Lymphknoten noch negativ verlaufen, gab es wenig später die traurige Gewissheit, dass Gipsy krebserkrankt war.

Die Tierklinik Reutlingen hat uns nach Zürich überwiesen, ins Tierspital der Universität, um weitere Untersuchungen und Behandlungen durchzuführen. Es gab aber auch Hoffnung in dieser damals ausweglosen Lage: Die Tierärztin in Zürich sagte, wenn ihr Hund Krebs hätte und sie sich die Art aussuchen dürfte, dann würde sie die von Gipsy wählen, die eine leichtere Form von Lymphosarkom (Lymphknotenkrebs) hatte. Diese Krebsform konnte mit einer Tabletten-Chemotherapie behandelt werden – gleichzeitig mit viel Cortison, das Wunder- und Teufelszeug gleichzeitig ist. In Erinnerung bleiben mir viele Momente, als ich eigentlich eingesehen habe, dass Gipsys Leben zu Ende gehen wird. Dann wurde sie im Herbst noch von einer Dogge gebissen und an einem Morgen taumelte sie plötzlich auf der Wiese und ich sah sie schon sterben...

Glauben Sie an Wunder?

Wir haben unseren Glauben nie verloren und es gab ein weiteres Wunder, denn die Therapie bildete die Lymphknoten zurück und Gipsy begann wieder zu spielen und zu toben; einzig ihr Verhalten zu vielen Artgenossen war nicht mehr so wie früher – wohl durch ihre Schwäche baute sie ein Schutzschild auf und wir akzeptierten, dass sie sich nicht mehr in einem Hunderudel wohl fühlte. Auffallend war, wie ihre Angst vor Gewitter, Feuerwerk, etc. immer größer wurde - auch das starke Zittern im Wartezimmer der Tierklinik kannten wir bisher nicht.

Alle Qual, alles Leiden war nicht umsonst und wir haben jeden Tag noch intensiver mit unserer Gipsy genossen, waren nochmals ein Jahr später in Dänemark mit ihr im Urlaub. Es ging alles etwas langsamer, aber unsere sicherlich schon 13-jährige Hündin konnte mit der 14-tägigen Chemotherapie sehr gut leben. Halbjährlich gingen wir nur noch nach Zürich zur Kontrolle, die Chemotherapie wurde sogar niedriger dosiert und alle Werte waren im grünen Bereich – kein Lymphknoten war mehr tastbar und auch bei der Leber war nichts mehr zu sehen.

Fast zwei Jahre durften wir so mit Gipsy noch verbringen. Wir waren dankbar über jeden einzelnen Tag...

...dann kam ein weiterer Tag, an dem man nach dem Warum fragen muss:
Fast ungebremst fuhr am 10.08.2006 ein Fahrzeug in das Heck meines Kombis, im Laderaum meine Gipsy. Mit einem schweren Schock und blutend wurde Gipsy von einer tierlieben Arbeitskollegin in die Tierklinik nach Reutlingen gebracht und wie durch ein (weiteres) Wunder, war Gipsy nur unwesentlich verletzt.
 
Im Nachhinein denke ich, hat an diesem Tag das Abschiednehmen begonnen, denn die bis dahin so stabilen Blutwerte stürzten ins Uferlose ab. Ich werde nicht die Tage vergessen, in denen ich mit Hoffen und Bangen auf bessere Blutwerte in der Tierklinik gewartet habe...

Und ich habe abermals auf ein Wunder gehofft – und unsere Gipsy noch (zu lange) leiden lassen. Zwei Tage vor Gipsys Tod kam sie in den Abendstunden das erste Mal nicht mehr alleine auf die Beine; am nächsten Tag schon nicht mehr ab dem Mittag und am Sonntag, den 29.10.2006, bin ich frühmorgens das letzte Mal mit meiner über alles geliebten Gipsy ein paar Schritte Gassi gegangen – dann war ihre Kraft am Ende und sie gab mir zu verstehen, dass es nicht mehr ging.

Wir haben sie dann schweren Herzens über die Regenbogenbrücke gehen lassen. Ihr letzter, fragender Blick, was nun geschehen wird, bleibt mir ewig in Erinnerung.

Lange, sehr lange, konnte ich nicht verstehen, dass Gipsy diesen schweren Verkehrsunfall überlebt hatte und ich vergeblich auf ein weiteres Wunder gewartet hatte. Ich hatte immer die Angst, dass Gipsy, ähnlich wie bei uns Menschen, nicht sterben kann, da sie ja von zwei Tierkliniken so perfekt versorgt wurde. Aber auch die Tierärzte glaubten bis zuletzt an ein weiteres Wunder.
Noch heute mache ich mir Vorwürfe, dass ich aus egoistischen Gründen zu lange habe nicht loslassen wollen – spätestens ab dem Zeitpunkt, als Gipsy erstmals sich weigerte, Arznei zu nehmen, hätte ich es merken müssen!



Was bedeutet es, mit einem chronisch kranken Hund zu leben?

Viele Sorgen und Kummer und die Angst (die manchmal fast die Seele auffrisst), dass man seinen geliebten Freund schon bald verliert. Aber auch die Gewissheit, das Leben bewusster zu leben  und die schönen Momente viel intensiver zu genießen.
Und wenn es auch nicht an erster Stelle steht, gehört zu all den Tierarztbesuchen, Behandlungen und Operationen das notwendige Geld dazu.
Aber auch die Rechtfertigungen gehören dazu, vor Leuten, die kein Verständnis aufbringen, dass (in Deutschland) ein Hund (aus Spanien) vielleicht besser ärztlich versorgt wird wie mancher Mensch.

Haben wir unseren Hund mit all den Behandlungen zu lange leiden lassen?

In den letzten Wochen sicherlich, aber wir haben auch einen todkranken Hund erlebt, der 1998 nicht nach Deutschland kam, um sterben zu wollen, sondern zu leben. Wir haben einen Hund in Erinnerung, der gesundheitlich (immer) angeschlagen war, der aber vielleicht gerade deshalb „nur“ leben wollte.

Und wir wollen keinen Tag missen, denn Gipsy hat unser Leben ungemein bereichert. Sie hat uns gezeigt, dass wenn man ganz tief gefallen ist, auch wieder aufstehen und mit dem Willen und dem Glauben Berge versetzen kann. Was zählt, ist das Jetzt und nicht das Morgen und wenn heute ein schöner Tag war, ist nichts mehr, wie es war...




Video:
Gipsy am Kinzigsee  (WMV 833 KB)




 

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