Ein spanischer
Straßenhund wird mein Traumhund...
An einem
Sonntag, wenige Tage nach Crockys Tod, hat mich die Nothilfe
für Polarhunde gefragt, ob ich einen spanischen
Straßenhund in Pflege nehmen könnte. Die
Hündin sollte eigentlich ein Husky sein und nur aufgrund
dieser Verwechselung kam sie über die Nothilfe nach
Deutschland.
Die erste
Untersuchung in der Tierklinik war eine niederschmetternde Diagnose:
Gipsy ist todkrank. Sie war hoffnungslos unterernährt und
hatte einige
Liter Wasser im Bauch. Zudem gab es unter ihrem Halsband
unzählige Zeckennester. So musste ich schon wieder von einem
Hund Abschied nehmen und sie in der Tierklinik zurück lassen...
Nach fast zwei
Wochen Pflege in der Tierklinik traute ich kaum meinen Augen, als ich
Gipsy wieder sah und mit nach Hause nehmen durfte. Da war ein
lebenshungriger Hund neu geboren, in eine neue Welt. Aus dem Pflegehund
wurde sehr bald unser zweiter Hund.
Gipsy war so anders als Crocky
– obwohl ein Teil bei Gipsy ein weißer
Schäferhund sein musste, war sie überhaupt kein Wach-
oder Schutzhund, eher vorsichtig und zurückhaltend, auch hat
sie kaum Laute von sich gegeben und ihre Begrüßung
und Freude war liebevoll, aber ruhig und wenig euphorisch. Sie war auch
gegenüber allen Hunden gut verträglich und eher
zurückhaltend. So haben wir einen Hund lieben gelernt, der
anfänglich nur unser Mitleid hatte und später tief in
unser Herz eindrang. Gipsys Name war bereits nach wenigen Wochen
gänzlich falsch, denn ohne jede Erziehung folgte sie uns auf
Schritt und Tritt und hatte ihr Zuhause gefunden.
Wir mussten auch
einsehen, dass ein kranker Hund nicht über Nacht kerngesund
wurde und so gehörten Tierarztbesuche zu unserem Alltag
– vorwiegend wegen Magen-/Darmproblemen, aber auch wegen
schlechter Blutwerte, einer Schilddrüsenstörung oder
chronisch entzündeten Mandeln. Vor der Kastration wurde noch
ein Geschwulst am Darm entdeckt und mit der Kastration entfernt.
Nach vielen
Untersuchungen und Futterumstellungen wurde der Grund
für die chronischen Dickdarmentzündungen
festgestellt:
Gipsy hatte eine Rindereiweißallergie und durfte ab sofort
keine Leckerlis mehr bekommen, dafür aber gekochtes
Hühnchen oder Pute mit Reis und spezielles Hundefutter. Auch
ihre Vorliebe für Obst wie Äpfel, Erdbeeren, etc.
mussten wir stark einschränken. Die
Dickdarmentzündungen gehörten der Vergangenheit an,
auch die Magenprobleme wurden weniger, blieben uns aber immer erhalten.
So musste Gipsy manchmal (auch nachts) raus zum Gras fressen, bis sich
ihr Magen
wieder beruhigt hatte.
Wer
den besseren Blutwerten nicht glaubte, musste unsere Gipsy nur ansehen,
denn sie wurde ein bildhübscher Hund, weißer als
jeder weiße Schäferhund und mit ihrer zierlichen
Statur blieb sie auch immer ein „junger“ Hund. Ihr
Fell war so weich wie von einem Hundebaby und so wurden wir
häufig von wildfremden Menschen angesprochen.
Nicht nur
deshalb
wurde und ist noch immer Gipsy mein Traumhund - diese
Dankbarkeit
und Liebe, die ein Straßenhund der ganzen Familie
jeden Tag
aufs Neue gibt, ist nicht in Worte zu fassen.
Mein Lebensmotto
hat sich mit Gipsy grundlegend geändert. Es wurde nichts mehr
aufgeschoben und wenn es Gipsy gut ging, haben wir mit ihr das Leben
genossen und sind bereits im Sommer 1999 in den ersten (von sechs)
Urlaub mit ihr gefahren.
Schon damals zeigte sie ihre
Leidenschaft fürs bewegte Wasser. Nicht schwimmen war ihr
Hobby, sondern das Jagen von Wellen. Mit dieser Freude hat sie viele
Leute zum Lachen gebracht, egal, ob an einem See oder an
einem Bach. Bei unseren vielen Wanderungen (bis zu 35
km) war sie stets vorneweg und nicht der kranke Hund, für den
sie so oft gehalten wurde.
Und deshalb soll
die Geschichte von Gipsy auch nicht nur von Ängsten, Sorgen,
Krankheiten und schon gar nicht von Mitleid erzählen, sondern
von purer
Lebensfreude,
von
einem treuen Freund und von Wunder, die wir erleben durften.
Gipsy hat in
Deutschland ein neues Leben begonnen, sie musste sich nicht mehr ihr
Fressen in Mülleimern suchen oder um Essensreste mit
Artgenossen streiten. Aber sie war geprägt von ihren ersten
Jahren und hat deshalb einzig den Menschen als Wohltäter
gesehen. Zu ihren Artgenossen konnte sie sich nur bei wenigen Hunden
richtig öffnen, denn gewissermaßen blieben es immer
Konkurrenten und waren selten echte Spielkameraden. Zum Collie meiner
Schwester hatte sie ein problemloses Verhältnis, aber das
ständige Werben von Sando hat sie nie erwidert.
Ja, viele haben
gesagt, ich würde nicht um meine Crocky trauern, da Gipsy
schon
wenige Tage nach Crockys Tod in mein Leben trat, aber
tatsächlich konnte ich erst nach vielen Monaten Gipsy tief in
mein Herz eindringen lassen.
Und
immer, als
wir dachten, dass es unserer Gipsy ganz gut gehen würde, kam
ein neuer Tiefschlag. An einem Freitag, als ich bereits meine Koffer
gepackt hatte, hat Gipsy von einer Sekunde zur anderen ständig
erbrochen und auch heftigen Durchfall. Was anfänglich wie eine
Magen-/Darmerkrankung aussah, wurde als Nierenentzündung von
der Tierklinik erkannt und stationär behandelt. Gipsy hat aber
auch diese Tage und Wochen gemeistert, jedoch war
die
Niere dauerhaft geschädigt.
Der
Versuch,
wieder einen heimischen Tierarzt zu finden, war spätestens mit
der Nierenerkrankung gescheitert und wir hatten in der Tierklinik in
Reutlingen mehrere Tierärzte unseres Vertrauens gefunden, die
für
unseren Hund rund um die Uhr da waren. Wenig später wurden die
Mandeln wegen chronischer Entzündung entfernt.
Gipsy blieb aber
auch so ein Unglücksrabe, denn auch
„Kleinigkeiten“, wie ein Hundebiss einer anderen
Hündin oder ein Splitter im Vorderlauf bedeuteten
über Wochen einen humpelnden Hund. Aber unser Hund
ließ sich seine Lebensfreude, insbesondere beim Spielen,
nicht nehmen. Sie hatte Spielsachen in allen Ausführungen und
hat sie – bis auf ein Kuscheltier namens Wuschel –
so sanft behandelt, dass wir sie heute noch haben. Jedes Teil hatte
einen Namen und sie brachte auch auf Zuruf (meistens) das richtige
Spielzeug. Ich sehe noch ihre leuchtenden Augen (wie bei einem
Kind), wenn sie ein neues Spielzeug bekam. Sie war ihr
ganzes Leben ein Spielhundi.
Regel- und
unregelmäßige Tierklinikbesuche blieben unser Alltag
und beeindruckend war, wie Gipsy doch gerne zu ihren
Tierärzten ging und problemlos jede Arznei nahm.
Und so war an einem Sommertag, am
05.08.2002, nichts Ungewöhnliches, dass wir in die Tierklinik
nach Reutlingen fuhren – vermutet wurde mal wieder
Magen-/Darmbeschwerden. Eine unserer Tierärztinnen hatte dann
ziemlich schnell einen anderen Verdacht und Gipsy wurde wenige Stunden
später die Milz entfernt. Nach einer Untersuchung des Gewebes
war der Befund: Nicht bösartig, was aber die operierende
Tierärztin anzweifelte – so schrecklich muss die
Milz ausgesehen haben. Wir waren jedenfalls so froh, dass unsere
Tierärztin den Milztumor so frühzeitig erkannt hat,
um Schlimmeres zu verhindern.
So hatten wir
2003 längstens die Milzerkrankung vergessen (und es fehlte uns
auch das Hintergrundwissen über lymphatisches Gewebe wie Milz
und
Lymphknoten) und waren das
erste Mal mit Gipsy und Sando in Dänemark im Urlaub
(ein
Traumland
für einen Hund), als Gipsy sich gegen Ende des Jahres merklich
veränderte. Plötzlich kam sie nicht mehr mit allen
Hunden klar, zuerst nur mit kleinen und später gar mit einem
Teil ihrer Freunde. Im Februar 2004 merkte ich auch, dass sie oft
hechelte und am Berg sehr angestrengt wirkte. Waren die ersten Proben
der Lymphknoten noch negativ verlaufen, gab es wenig später
die
traurige Gewissheit, dass Gipsy krebserkrankt war.
Die Tierklinik
Reutlingen hat uns
nach Zürich überwiesen, ins Tierspital der
Universität,
um weitere Untersuchungen und Behandlungen
durchzuführen. Es
gab aber auch Hoffnung in dieser damals ausweglosen
Lage: Die Tierärztin in Zürich sagte, wenn
ihr Hund Krebs hätte und sie sich die Art aussuchen
dürfte, dann würde sie die von Gipsy wählen,
die eine leichtere Form von Lymphosarkom (Lymphknotenkrebs) hatte.
Diese Krebsform konnte mit einer Tabletten-Chemotherapie
behandelt
werden – gleichzeitig mit
viel Cortison, das Wunder- und Teufelszeug gleichzeitig ist. In
Erinnerung bleiben mir viele Momente, als ich eigentlich eingesehen
habe, dass Gipsys Leben zu Ende gehen wird. Dann wurde sie im Herbst
noch von einer Dogge gebissen und an einem Morgen taumelte sie
plötzlich auf der Wiese und ich sah sie schon sterben...
Glauben Sie an Wunder?
Wir haben unseren Glauben nie verloren und es gab ein weiteres Wunder,
denn die Therapie bildete die Lymphknoten zurück und Gipsy
begann
wieder zu spielen und zu toben; einzig ihr Verhalten zu vielen
Artgenossen war nicht mehr so wie früher – wohl
durch ihre Schwäche baute sie ein Schutzschild auf und wir
akzeptierten, dass sie sich nicht mehr in einem Hunderudel
wohl fühlte. Auffallend war, wie ihre Angst vor Gewitter,
Feuerwerk, etc. immer größer wurde - auch das starke
Zittern im Wartezimmer der Tierklinik kannten wir bisher nicht.
Alle Qual, alles Leiden war nicht
umsonst und wir haben jeden Tag noch intensiver mit unserer Gipsy
genossen, waren
nochmals ein Jahr später in Dänemark mit ihr im
Urlaub. Es ging alles etwas langsamer, aber unsere sicherlich schon
13-jährige Hündin konnte mit der 14-tägigen
Chemotherapie sehr gut leben. Halbjährlich gingen wir nur noch
nach Zürich zur Kontrolle, die Chemotherapie wurde sogar
niedriger dosiert und alle Werte waren im grünen Bereich
– kein Lymphknoten war mehr tastbar und auch bei der Leber
war nichts mehr zu sehen.
Fast zwei Jahre
durften wir so mit Gipsy noch verbringen. Wir waren dankbar
über jeden einzelnen Tag...
...dann kam ein
weiterer Tag, an dem man nach dem Warum
fragen muss:
Fast ungebremst fuhr am 10.08.2006 ein Fahrzeug in das Heck meines
Kombis, im Laderaum meine Gipsy. Mit einem schweren Schock und
blutend wurde Gipsy von einer tierlieben Arbeitskollegin in die
Tierklinik nach Reutlingen gebracht und wie durch ein (weiteres)
Wunder, war Gipsy nur unwesentlich verletzt.
Im Nachhinein denke ich, hat an diesem Tag das Abschiednehmen begonnen,
denn die bis dahin so stabilen Blutwerte stürzten ins Uferlose
ab. Ich werde nicht die Tage vergessen, in denen ich mit Hoffen und
Bangen auf bessere Blutwerte in der Tierklinik gewartet habe...
Und ich habe
abermals auf ein Wunder gehofft – und unsere Gipsy noch (zu
lange) leiden lassen. Zwei Tage vor Gipsys Tod kam sie in den
Abendstunden das erste Mal nicht mehr alleine auf die Beine; am
nächsten Tag schon nicht mehr ab dem Mittag und am Sonntag,
den 29.10.2006, bin ich frühmorgens das letzte Mal mit meiner
über alles geliebten Gipsy ein paar Schritte Gassi gegangen
– dann war ihre Kraft am Ende und sie gab mir zu verstehen,
dass es nicht mehr ging.
Wir
haben sie dann schweren Herzens über die
Regenbogenbrücke gehen lassen. Ihr letzter, fragender Blick,
was nun geschehen wird, bleibt mir ewig in Erinnerung.
Lange, sehr
lange, konnte ich nicht verstehen, dass Gipsy diesen schweren
Verkehrsunfall überlebt hatte und ich vergeblich auf ein
weiteres Wunder gewartet hatte. Ich hatte immer die Angst, dass Gipsy,
ähnlich wie bei uns Menschen, nicht sterben kann, da sie ja
von zwei Tierkliniken so perfekt versorgt wurde. Aber auch die
Tierärzte glaubten bis zuletzt an ein weiteres Wunder.
Noch heute mache
ich
mir Vorwürfe, dass ich aus egoistischen Gründen zu
lange habe nicht loslassen wollen – spätestens ab
dem Zeitpunkt, als Gipsy erstmals sich weigerte, Arznei zu nehmen,
hätte ich es merken müssen!
Was
bedeutet es, mit einem chronisch kranken Hund zu leben?
Viele Sorgen und
Kummer und die Angst (die manchmal fast die Seele auffrisst), dass man
seinen geliebten Freund schon bald verliert. Aber auch die Gewissheit,
das Leben bewusster zu leben und die schönen Momente
viel intensiver zu genießen.
Und wenn es auch nicht an erster Stelle steht, gehört zu all
den Tierarztbesuchen, Behandlungen und Operationen das notwendige Geld
dazu.
Aber auch die Rechtfertigungen gehören dazu, vor Leuten, die
kein Verständnis aufbringen, dass (in Deutschland) ein Hund
(aus Spanien) vielleicht besser ärztlich versorgt wird wie
mancher Mensch.
Haben wir unseren Hund mit all den Behandlungen
zu lange leiden lassen?
In
den letzten Wochen sicherlich, aber wir haben auch einen todkranken
Hund erlebt, der 1998 nicht nach Deutschland kam, um sterben zu wollen,
sondern zu leben. Wir haben einen Hund in Erinnerung, der
gesundheitlich (immer) angeschlagen war, der aber vielleicht gerade
deshalb „nur“ leben wollte.
Und wir wollen
keinen Tag missen, denn Gipsy hat unser Leben ungemein bereichert. Sie
hat uns gezeigt, dass wenn man ganz tief gefallen ist, auch wieder
aufstehen und mit dem Willen und dem Glauben Berge versetzen kann. Was
zählt, ist das Jetzt und nicht das Morgen und wenn heute ein
schöner Tag war, ist nichts mehr, wie es war...
Video: Gipsy am Kinzigsee (WMV 833 KB)
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